Reverse IPOs in Deutschland

Ein Reverse IPO bezeichnet die Fusion eines börsennotierten Unternehmens mit einem nicht börsennotierten Unternehmen und stellt eine alternative Möglichkeit für Unternehmen dar, Zugang zum Kapitalmarkt zu erhalten. Dieses Vorgehen gewann in Deutschland insbesondere nach dem Zusammenbruch des Neuen Marktes zwischen 2000 und 2002 an Bedeutung, da es Emittenten zunehmend schwerfiel, ihre Preiserwartungen bei öffentlichen Angeboten durchzusetzen. Trotz dieser Schwierigkeiten bestand weiterhin ein hoher Bedarf an Börsennotierungen, um zusätzliches Kapital zu beschaffen oder andere strategische Ziele zu verfolgen [Anders et al., 2009].

Mechanismen für Reverse Takeovers in Deutschland

Die Fusion zweier Unternehmen in Deutschland kann auf unterschiedlichen rechtlichen Wegen erfolgen, die jeweils durch spezifische Bestimmungen des deutschen Gesellschaftsrechts geregelt sind. Nach [Bösl, 2004] umfassen diese unter anderem die Verschmelzung gemäß § 2 Nr. 1 Umwandlungsgesetz (UmwG) sowie die Kapitalerhöhung gegen Sacheinlage nach § 183 Aktiengesetz (AktG).

Ein häufiger Weg für einen Reverse Takeover ist die Kapitalerhöhung gegen Sacheinlage. Dabei führt das börsennotierte Unternehmen eine Kapitalerhöhung durch, bei der das Bezugsrecht der Altaktionäre ausgeschlossen wird. Im Rahmen dieser Maßnahme werden Anteile des nicht börsennotierten Unternehmens als Sacheinlage eingebracht. Auf diese Weise kann das nicht börsennotierte Unternehmen in die börsennotierte Gesellschaft integriert werden, ohne den Weg eines klassischen IPO zu gehen – was den Übergang in den Börsenstatus erheblich erleichtert.

Ein alternativer Weg besteht in der Fusion des börsennotierten mit dem nicht börsennotierten Unternehmen. Dabei existieren drei grundlegende Modelle:

  • Verschmelzung des Erwerbers auf das Zielunternehmen: Hier wird das börsennotierte Unternehmen auf das nicht börsennotierte Zielunternehmen verschmolzen. Dieses Modell wird jedoch selten für Reverse IPOs verwendet, da das fusionierte Unternehmen dadurch nicht automatisch börsennotiert wird.

  • Verschmelzung des Zielunternehmens auf den Erwerber: In diesem Modell wird das nicht börsennotierte Zielunternehmen in das börsennotierte Unternehmen eingegliedert. Diese Vorgehensweise eignet sich besonders für Unternehmen, die über einen Reverse Takeover an die Börse gelangen wollen – der Börsengang erfolgt dabei durch die Verschmelzung in das bereits börsennotierte Unternehmen.

  • NewCo-Fusion: Dabei werden sowohl das börsennotierte als auch das nicht börsennotierte Unternehmen in eine neu gegründete Gesellschaft („NewCo“) eingebracht. Allerdings muss diese neue Gesellschaft erneut an der Börse zugelassen werden, und in der Regel ist ein Wertpapierprospekt für die neuen Aktien erforderlich. Aufgrund des zusätzlichen regulatorischen Aufwands wird dieses Modell seltener für Reverse IPOs genutzt.

Für die Durchführung eines Reverse Takeovers in Deutschland bieten sich daher vor allem zwei effiziente Wege an:

  1. Verschmelzung des nicht börsennotierten Zielunternehmens auf das börsennotierte Erwerberunternehmen

  2. Kapitalerhöhung gegen Sacheinlage (Einbringung der Anteile des Zielunternehmens)

Eine Verschmelzung des nicht börsennotierten Unternehmens auf das börsennotierte Unternehmen führt unmittelbar zur Börsennotierung des privaten Unternehmens.

Wie [Bösl, 2004] erläutert, gehen bei einer Verschmelzung sämtliche Vermögenswerte – inklusive Rechte, Pflichten und Verbindlichkeiten – auf das übernehmende Unternehmen über. Mit Wirksamwerden der Verschmelzung erlischt das übertragende Unternehmen.

Unabhängig von der gewählten Fusionsform ist stets eine Unternehmensbewertung beider Gesellschaften erforderlich. Diese erfolgt im Rahmen einer Due-Diligence-Prüfung durch einen neutralen Prüfer, insbesondere im Hinblick auf Risiken, Altlasten und rechtliche Auseinandersetzungen. Bei einer sogenannten „sauberen Mantelgesellschaft“ ist die Bewertung häufig unkompliziert, da die Bilanz in der Regel lediglich über liquide Mittel verfügt.

Darüber hinaus ist ein Verschmelzungsvertrag abzuschließen und ein Verschmelzungsbericht zu erstellen. Die Verschmelzung muss von der Hauptversammlung beider Gesellschaften mit qualifizierter Mehrheit genehmigt werden. Diese qualifizierte Mehrheit ist auch für Satzungsänderungen notwendig – etwa zur Änderung des Unternehmensnamens oder des Unternehmensgegenstands.

Eine Kapitalerhöhung gegen Sacheinlage erlaubt es einem nicht börsennotierten Unternehmen, durch Integration in eine börsennotierte Gesellschaft öffentlich gehandelt zu werden, ohne die Komplexität einer Verschmelzung vollständig durchlaufen zu müssen.

Wie [Bösl, 2004] erläutert, erhalten die Gesellschafter des nicht börsennotierten Unternehmens im Gegenzug für die Sacheinlage Aktien des börsennotierten Unternehmens, die zum Börsenhandel zugelassen werden müssen. In der Folge wird das Zielunternehmen zunächst zur Tochtergesellschaft – im zweiten Schritt kann eine Fusion zur finalen Integration erfolgen. Bei einer Kapitalerhöhung gegen Sacheinlage haben die Altaktionäre das Recht, diese anzufechten (§ 255 Abs. 2 i. V. m. § 243 AktG).

Zudem muss eine Werthaltigkeitsprüfung („Impairment Test“) der eingebrachten Anteile erfolgen, um eine sachgerechte Bewertung sicherzustellen.

Beide Methoden stellen realistische Alternativen zu einem klassischen IPO dar und bieten für Unternehmen, die in Deutschland an die Börse gehen möchten, unterschiedliche strategische Optionen, abhängig von den individuellen Zielen und Rahmenbedingungen der beteiligten Parteien.