Reverse Mergers in Europa
Es ist von großer Bedeutung zu betonen, dass die Fachliteratur zu Reverse IPOs in Europa, insbesondere zu Reverse Mergers als Mittel für Unternehmen, an die Börse zu gehen, sehr spärlich ist. Eine wahrscheinliche Erklärung für diese Lücke liegt darin, dass es in Europa relativ unüblich ist, den Börsengang über einen Reverse Merger zu vollziehen.
Ein bemerkenswertes Beispiel für Forschung zu Reverse Takeovers in Europa stammt von Dasilas et al. (2017), die eine europäische Stichprobe von 222 privaten Unternehmen untersuchten, die im Zeitraum von 1992 bis 2011 per Reverse Takeover an die Börse gingen. Bei der länderspezifischen Analyse stellten die Autoren fest, dass das Vereinigte Königreich mit 145 privaten und 160 börsennotierten Unternehmen das beliebteste Zielland für Reverse Takeovers in Europa ist. Auf dem zweiten Platz folgt Schweden mit 13 privaten und 16 öffentlichen Unternehmen, gefolgt von Frankreich mit 11 privaten und 15 öffentlichen Firmen.
Deutschland, das im Fokus dieses Beitrags steht, belegte gemeinsam mit Finnland und Norwegen den vierten Platz. Trotz dieser vergleichsweise hohen Position zeigt die Gesamtzahl von nur zehn Unternehmen (5 private, 5 börsennotierte), die in Deutschland zwischen 1992 und 2011 an einem Reverse Takeover beteiligt waren, dass diese Methode dort weniger verbreitet und möglicherweise weniger relevant ist.
Im Hinblick auf grenzüberschreitende Expansionen stellten Dasilas et al. (2017) fest, dass 33 von 222 Unternehmen mit einem Unternehmen aus einem anderen Land fusionierten – das entspricht 14,9 %. Die überwiegende Mehrheit (189 Unternehmen) entschied sich jedoch für eine nationale Transaktion.
Trotz zahlreicher internationaler Beispiele für Reverse Mergers als Mittel zum Börsengang im Ausland – besonders bekannt im US-Markt durch die Reverse-IPOs chinesischer Unternehmen, die damit striktere Offenlegungspflichten vermeiden wollten – ist dieses Muster in Europa nicht weit verbreitet.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass die von Dasilas et al. analysierte Stichprobe nicht ausschließlich Reverse IPOs enthält. Aufgrund des Mangels an europäischen Reverse-Merger-Transaktionen mussten die Autoren den Begriff des Reverse Takeovers weiter fassen, um die Nutzung dieser Struktur innerhalb Europas überhaupt untersuchen zu können.
Hinsichtlich der Branchenzugehörigkeit zeigten die Ergebnisse, dass weniger als die Hälfte (106 Unternehmen) mit Firmen aus derselben Branche fusionierten (47,75 %). Davon agierten 74 Unternehmen im selben Sektor oder Sub-Sektor, 32 dagegen in unterschiedlichen Sektoren innerhalb derselben Branche.
Daraus lässt sich schließen, dass mehr als die Hälfte der Unternehmen mit Reverse Takeover-Strategie branchenfremde Expansionen anstreben. Bei denen, die sich innerhalb derselben Branche bewegten, lässt sich in der Regel ein Ziel der Marktausweitung innerhalb des bestehenden Segments erkennen.
Die untersuchten Unternehmen stammten aus einer Vielzahl von Branchen – darunter auch wachstumsstarke Felder wie Gesundheitswesen und Energie, was laut Dasilas et al. der verbreiteten Annahme widerspricht, dass Reverse Mergers vor allem im spekulativen Sektor zwischen kleinen Firmen und Unternehmen aus niedrig wachsenden Branchen vorkommen.
Eine der häufig genannten Stärken von Reverse IPOs wird ebenfalls von Dasilas et al. bestätigt: Der Reverse Merger eignet sich besonders in wirtschaftlich schwierigen Zeiten, da Investoren und Anteilseigner die Übernahme und Restrukturierung von Shell-Unternehmen unter solchen Marktbedingungen positiv bewerten – insbesondere dann, wenn Investitionen in kapitalarme Unternehmen riskanter erscheinen. Der Markt scheint in Krisenphasen verstärkt Vertrauen in Transaktionen zu setzen, die auf die Rettung von Shell-Unternehmen abzielen – auch in Europa.
Neben der Analyse struktureller Aspekte untersuchten die Autoren auch Bewertung und Aktienperformance der beteiligten Unternehmen. Sie stellten fest, dass bei Reverse Takeovers im Schnitt 97,46 % der Anteile übernommen wurden – ein Wert, der mit früherer Literatur zur typischen Erwerbsquote bei Reverse Mergers übereinstimmt.
Basierend auf dieser Quote berechneten Dasilas et al. u. a. das Deal Value-to-Sales-Ratio, das durchschnittlich 26,45 % betrug. Das durchschnittliche Enterprise Value zum Zeitpunkt der Ankündigung lag bei 1,64 Mio. EUR, während der durchschnittliche Marktwert bei 958.000 EUR lag. Die Medianwerte jedoch (45,27 Mio. EUR EV vs. 441.000 EUR Market Cap) deuten darauf hin, dass Ausreißer die Durchschnittswerte stark beeinflusst haben könnten.
Auch die kurzfristigen Auswirkungen der Ankündigung auf die Aktienkurse wurden analysiert: An den Tagen -1, 0 und +1 lagen die abnormalen Renditen bei 1,82 %, 3,09 % und 4,65 %, alle statistisch signifikant auf dem 1 %-Niveau.
Die kumulierten abnormalen Renditen (CARs) für die Ereignisfenster (-1, +1) und (-1, 0) betrugen 9,56 % bzw. 4,91 %, ebenfalls signifikant. Auch in längeren Zeitfenstern blieben die kurzfristigen Effekte positiv, was darauf hindeutet, dass die Ankündigung von Reverse Mergers kurzfristig positiv vom Markt aufgenommen wird.
Im Vergleich zu US-Daten, in denen CARs von bis zu 28,94 % innerhalb von 10 Tagen nachgewiesen wurden, waren die Effekte in Europa jedoch geringer ausgeprägt. Die Autoren führen dies auf geringere Transparenz, weniger institutionelle Handelsaktivität und weniger Medien- bzw. Analystenberichterstattung zurück.
Trotzdem zeigen die Ergebnisse, dass die Ankündigung eines Reverse Takeovers auch in Europa signifikant positiv für die Aktionäre der öffentlichen Unternehmen war – vor allem im direkten zeitlichen Umfeld der Transaktion.
Darüber hinaus analysierten Dasilas et al. den Einfluss von Corporate Governance auf die Marktreaktion. Sie fanden starke Hinweise darauf, dass die Struktur der Unternehmensführung entscheidenden Einfluss auf den Shareholder Value hat, insbesondere bei Ereignissen wie Reverse Takeovers.
Länder mit stärkerem Minderheitenschutz – darunter das Vereinigte Königreich, Finnland, Norwegen, Schweden und die Niederlande – zeigten dabei höhere positive Renditen im Zeitraum um die Ankündigung:
2,13 % (Tag -1), 3,63 % (Tag 0) und 6,41 % (Tag +1). Die kumulierten CARs betrugen 5,76 % (Tage -1, 0) und 12,17 % (Tage -1, 0, +1) – jeweils signifikant auf dem 1 %-Niveau.
Die Ergebnisse legen nahe, dass Märkte in Ländern mit effektiver Governance Transaktionen positiver bewerten, da erwartet wird, dass dort bessere Kontrollmechanismen gegen Missbrauch und Wertvernichtung greifen.
Abschließend stellten Dasilas et al. fest, dass der größte Teil der abnormalen Renditen (über 97 %) innerhalb der ersten drei Tage nach der Ankündigung realisiert wurde – ein typisches Muster bei kurzfristigen Überreaktionen, während längerfristig – wie auch in der Literatur zu IPOs – negative Entwicklungen dominieren können.
Die Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung von Corporate Governance, Transparenzpflichten und Aktionärsschutz für den Erfolg von Reverse Mergers in Europa.
Leider wurde Deutschland in diesen Detailanalysen nicht gesondert betrachtet. Eine gezielte Untersuchung dieser Faktoren im deutschen Kontext wäre jedoch sehr empfehlenswert, um ein präziseres Bild der Rahmenbedingungen für Reverse IPOs in Deutschland zu erhalten.